Frei heraus,  Menschen

Hel(l)p X? Go Y!

*TRIGGER WARNING* hier kommt eine unangenehme Geschichte sehr persönlicher Natur. Erm… nun. Es gibt ja auch mal schlechte Erfahrungen auf der Reise. Auf dem letzten Abschnitt unserer Vanlife-1st try Episode haben wir uns noch für die letzten drei Tage vor der Rückkehr nach Perth einen Stay bei HelpX ausgesucht, der irgendwie… in die Hose ging. Ich habe lange überlegt, ob ich hier diesen Artikel posten möchte. Ich finde es erstens zur Doku für uns selbst, zweitens als ehrliches Reisezeugnis aber wichtig, auch solche Situationen festzuhalten. Nun denn…

HelpX ist eine Plattform, die uns von einem Freund empfohlen wurde, ähnlich dem bekannten Wwoofing.com. Ein Ort, an dem im Endeffekt Schlafplatz gegen Arbeit eingetauscht wird. Bisher hatten wir sehr gute Erfahrungen, man muss auch vorab sagen, dass wir Anzeigen á la „We expect you to work at least 6 h a day“ bewusst außen vor lassen, um uns auf die zwischenmenschlichen Kontakte und natürlich auch die Umgebung konzentrieren zu können. Wegen dem Geld wäre es uns eh nicht, bzw. sehe ich das auch nicht wirklich ein, mit 6h pro Tag kann sich hier in OZ selbst ein ungelernter Hilfsarbeiter mit Mindestlohn bequem ins Hotel einmieten. Außerdem kann ich, wenn ich das möchte, auch Zuhause Spargel stechen.

1 Die Story

So hatten unsere Hosts, zwei Schaffarmer aus dem Wheatbelt im Südosten Perths – im digitalen Briefwechsel einen guten Eindruck gemacht. Wobei ich zugeben muss, dass ich schon vorher etwas Bedenken hatte, als Geoffrey uns auf unsere Frage welchen Wein wir am besten als Gastgeschenk mitnehmen sollten meinte, ihm wärs pieps-egal – Arbeitshandschuhe wären wichtiger, und die hätte er da. Andreas Eindruck war zunächst ein anderer (man könnte sagen: Sie hat mehr Vertrauen in Menschen…), und da sie das organisiert hatte bin ich trotz meiner Bedenken mit gegangen. Also gut, lassen wir uns drauf ein. Was soll schon passieren?

Der erste Eindruck war gemischt: Die Farm, etwas abseits gelegen, sah von außen aus wie ein schönes kleines Landhaus. Michelle (Geoffreys Freundin) begrüßte uns sehr nett und bot uns einen Kaffee an. Das Innenleben des Hauses war… ein Saustall ersten Ranges. Für Andrea ein no-go, für mich zumindest sehr unangenehm, und das will schon was heißen XD. Wenigstens die Haarbüschel hätte man aus der Dusche doch vorher entfernen können… Aber wurstegal, den Großteil des Nachmittages verbrachten wir im Dreigespräch. Michelle war extrem nett, übernett, fast schon klammernd in ihrer Gesprächsführung. Schnell war sie bei ihren psychischen Problemen, ja Geoffrey sei ein schwieriger Mensch, jähzornig, er werde wütend wenn man Dinge in Schubladen räume, weil er sie dann nicht mehr fände – deswegen der Saustall. Sein Vater sei ein Narzisst, der Geoffrey in finanzieller Abhängigkeit auf der Farm schuften ließe, den er eigentlich hasse aber dem er aber alles recht machen würde. Aber sie ertrage es alles, auch wenn sie manchmal innerlich ganz leer sei. Oh-oh…

Dann um 4 kam Geoffrey ins Haus geplatzt. „Hi! I need one person!“. Mir war irgendwie sofort klar, das tue ich Andrea nicht an. „Ok, that will be me. I am Jan, by the way…“. Rein ins Auto, mit seiner geladenen CR-527 auf den Beifahrersitz gequetscht. Ja, die verfluchten Kängurus, die Woche habe er schon zwei abgeknallt die auf seinem Land herumgerannt wären. Auf die Frage „Seatbelt?“ meine ich noch, „no I am fine, we wont be going fast will we?“ – er blafft zurück „That was not a question, m8. Put that thingo on!“. Netter Typ, dachte ich mir… und los ging die Fahrt. Der Job an sich war o.k., Schafe mithilfe seiner Hunde in ein Gatter treiben, seinen Mähdrescher auftanken, ein neues Barrel Diesel von der Tanke holen. Das Gespräch währenddessen ging hauptsächlich über Ihn, seine Reisen und seine 3 Kinder. Er habe sie erzogen um selbständig zu sein, so habe er früher einfach in der Landschaft angehalten, allen die Handys abgenommen und sie die Navigation zurück übernehmen lassen. Man müsse immer so leben, dass man alleine klarkäme, und bevor seine Kinder nach Perth in die Uni kämen, wollte er sie für „the life out there“ fit machen. Oh oh Nummer 2… die Frage was passierte, wenn die Kids mit der Navigation überfordert waren, hab ich mir gespart. Wäre er sowieso nicht ehrlich gewesen.

Zurück im Haus entwickelte sich ein (wenn es das Wort gibt) Doppel-Monolog, und ein rotes Fähnchen nach dem anderen flatterte durch den Raum. Ein best-of wäre zu lang, ich erinnere mich bei Ihm an rücksichtsloses Verhalten (er fängt an zu essen, während noch kein anderer am Tisch sitzt und seine Frau noch kochend in der Küche steht – vom Dank ganz zu schweigen) nebst misogynen Kommentaren „the boys always eat first, hahaha“ – furchtbar witzig. Sie oft in einer scheinbaren Vermittlerrolle, aber deutlich spürbar wie sie uns gegen ihn versucht zu spielen. Gibt in jedem Diskussionsthema uns absolute Zustimmung und Rapport, positioniert ihn als unverständigen Trottel („But Geoff you got it wrong…“), was ihn dann erwartbar explodieren lässt. Jedesmal unterwirft sie sich dann dem Wüterich mit demütigem Hasenblick – nicht, ohne uns aus den Augenwinkeln mitleidig (oder hilfesuchend?) anzuschielen. Ich habe das Gefühl eine sehr schlechte und oberflächliche Inszenierung zu verfolgen… und irgendwie kenne ich den Plot.

2 Der Turnaround
Als trauriger Höhepunkt fällt mir noch eine Szene ein: Auf Andreas Frage, wie man denn Schafe dirigiere, sie habe das noch nie gemacht, liefert sie eine wissenschaftliche Erklärung mit Sichtwinkeln eines Schafes, die ich bis heute noch nicht verstanden habe. Mitten im Satz unterbricht Geoffrey sie und meint großspurig so ein Käse, er würde sie (Andrea) das schon wissen lassen, seine Kommandos habe noch jeder verstanden. Danke, aber nein danke. An Menschen, die meine Frau schlecht behandeln, ist mein Bedarf bis auf weiteres gedeckt. Trotzdem führe ich das Gespräch weiter als wäre nichts. Gebe Rapport, achte darauf den beiden viel Redezeit zu geben, mich nicht reinziehen zu lassen in ihren BS, ihm so oft wie möglich recht zu geben und oberflächliche Komplimente zu machen damit er sich groß fühlt, sie bestärkend anzulächeln damit sie sich liebgehabt fühlt, nebenbei auf verbaler Ebene das Gespräch am laufen zu halten bzw zu beschleunigen, wenn Andreas Englischkenntnisse versagen. Obwohl ich innerlich mit der Situation abgeschlossen habe und fix und alle bin. Der Tag war lang, die Maskerade kostet Kraft, und ich bin ja keine 12 mehr. Mitten in einer Geschichte über unsere Reisen beendet er das Gespräch, er sei nun müde. Morgen wäre dann 7:10 Abfahrt, bitteschön.

Während wir uns erschöpft in die Falle zurückziehen, fällt die ganze Show in mir zusammen wie ein Kartenhaus. Ich bin völlig leer, wie soll ich das Theater noch zwei Tage aufrechterhalten, ohne den beiden ins Gesicht zu springen? Und überhaupt – was mache ich hier? Die ehrliche Antwort ist ebenso einfach wie deprimierend – ich mache das, was ich lange machen musste. Ich bin im Überlebensmodus. Nur durchhalten, das Schauspiel aufrechterhalten, später hat dein Zimmer eine Tür und die kannst du zusperren, da bist du sicher, kannst loslassen, dich in deinen Büchern verlieren.

3 Der Reinfall

Aber, so wird mir bewusst, ich bin heute nicht mehr wehrlos. Ich kann einfach gehen, eigentlich. Nur muss ich etwas tun was mir extrem schwer fällt: Grenzen ziehen, meine Bedürfnisse einfordern, und zwar gegen die Erwartung anderer. Und die damit verbundenen, oder befürchteten, Konsequenzen ertragen. Andrea hat natürlich inzwischen bemerkt, wie es mir geht und fragt in das Karussell hinein: „Alles ok?“. Nene, nix ist ok. Es tut mir leid – aber ich muss hier raus. Das halte ich nicht länger aus. In ihrem „na guuuut…. dann plaaanen wir halt ummmm…. aber das sagst gefälligst DU den beiden!“ ist ein deutlich wahrnehmbarer Unterton der Enttäuschung. Fairerweise: Woher kann sie wissen, was seit einigen Stunden in mir vorgeht – und was sie da von mir verlangt? Mein Schauspiel ist wohlgeübt und damit leider täuschend echt. Wie auch immer – aber das ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Ich habe jemanden in mein abgesperrtes Zimmer, in meinen safe room gelassen damit er mit überleben kann. Und er hat das Vertrauen missbraucht und die Außenwelt mit reingebracht. Alarmstufe Rot, Photonentorpedos laden… Engage!

Ich will den Streit nicht wiedergeben, der sich dann entfaltete. Er war nicht schön, endete aber mit dem Konsens, dass wir am nächsten Morgen Hals über Kopf die Farm verließen. Mein Schauspiel war anscheinend so gut gewesen, dass sogar Andrea dachte ich hätte ehrlichen Spaß an der Konversation gehabt, obwohl ihr die… Seltsamkeiten der beiden auch aufgefallen sind. Jedenfalls waren wir uns einig über die richtige Entscheidung, und wir haben beide aufgeatmet, als wir dort weg waren und bei einem gemütlichen Frühstück saßen :-). Vielleicht ein Moment zum Innehalten.

4 Conclusio?

  1. Du kannst 15.000 km vom Ort des Traumas entfernt sein, es holt dich doch immer wieder ein. ABER:
  2. Niemand muss sich mit etwas abfinden, was ihm schadet (zumindest nicht in der modernen, westlichen Welt).
  3. Hilflos ist ab einem gewissen Alter nur der, der sich hilflos fühlt.
  4. Energievampire leben davon, dass ihnen niemand Knoblauch in die Fresse stopft.
  5. Schafe sind irgendwie niedlich.

Und zum Abschluss noch ein schlaues Zitat:

„Before you judge a man, walk a mile in his shoes… After that who cares? He’s a mile away and you’ve got his shoes!“

– Bill Connolly

Während ich das schreibe, sind wir schon in Melbourne und blicken auf die tolle Zeit in Westaustralien zurück! Und auf diese komischen zwei Tage XD

Bis dann

Jan

Jan, Jahrgang 1986, peliepter Redner und Schöngeist

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