Frei heraus,  Menschen

Flugangst versus eine asiatische Billigfluglinie

Ich habe eigentlich keine Flugangst. Eigentlich heißt, ich bin mittlerweile sehr oft geflogen, kenne die Abläufe, habe aufgrund meiner naturwissenschaftlichen Ausbildung Vertrauen in die Physik des Fliegens und das Engineering von Flugzeugen. Gerade weil ich in meiner Doktorarbeit viele Berührungspunkte zur Materialwissenschaft hatte, konnte ich eine Sorge die ich langehatte zerstreuen. Jeder kennt das Problem wenn beim Auto mal die Batterie alt wird – irgendwann springt die Karre einfach nicht mehr an. Was, wenn eben irgendwann das Material der Flügel unter der riesigen Belastung nach 15 Jahren so ermüdet ist, dass das Ding abbricht? Das Faszinierende ist, dass man derartige Effekte bei den meisten neuen Materialien berechnen kann. Somit weiß man, wann man ein Teil spätestens austauschen muss, um mit einer Sicherheit von über 1 : 1000000 ein Versagen auszuschließen. Für alles gibt es Pilotentrainings und Handbücher. Im Klartext: Wenn heute ein Flugzeug gemäß Herstellerempfehlung mit Originalteilen gewartet wird und die Piloten gemäß ICAA – Standards ausgebildet sind, besteht keine realistische Gefahr, der Weg zum Flughafen ist gefährlicher als der Flug selbst. Aber genau hier beginnt das Problem, wenn.

Ich habe gerade in Südostasien zu viel gesehen, um noch blind vertrauen zu können. Wenn ich mal nur die Erlebnisse der letzten 10 Tage heranziehe:

  1. Eine Steckdose an der Außenfassade die aus der Fassung gesprungen ist und mit Panzertape umwickelt ohne erkennbare Sicherung das ganze Restaurant versorgt – an einem Ort an dem es jeden Tag in Strömen regnet
  2. Ein „Schulbus“, besser ein Minivan mit Dachträger, der mit 60 kmh durch den Ort braust, während ca. 10 Kinder einfach so auf dem Dachträger sitzen – ohne Gurt, ohne Geländer.
  3. Ein Minivan-Bus, der so aussieht als wäre er am Set von Mad Max eingesetzt worden, verbeult, Kofferraum lässt sich nicht mehr schließen, Federung und Radlager schon lange durch, und der Fahrer überholt trotzdem mit Tempo 80 jeden LKW auf dem Embankment

Kann man in diesem Land Flughafentechnikern und Piloten vertrauen? Mir fällt es schwer… gut, Urvertrauen ist generell ein Thema bei mir, aber die Beweislast scheint erdrückend.

Die Faustregel, die mir eine reiserfahrene Freundin vor Jahren gegeben hat, lautet:

„Never trust an airline that is named after an animal“

Traveller-Weisheit level 4

Als ich herausfand, dass die einzige Airline die unsere Verbindung Medan – Yogakarta bedient Lion Air heißt, war ich entsprechend schockiert. Insbesondere, da man Lion Air ja wegen der Lion Air 610 – Katastrophe aus 2018 kennt. Was ich da unter den Untersuchungsakten gefunden habe von falsch kalibrierten Sensoren, Piloten die nicht über die neuen Funktionen des Flugzeugs geschult wurden und eine Airline die mit einem Flieger der am Tag zuvor fast abgestürzt wäre seelenruhig am nächsten Tag mit einer neuen crew einfach so nochmal startet, hat mich nicht weiter beruhigt.

So kamen wir also am Flughafen Medan-Kuala Namu an, der Plan die Sorgen einfach in Bier aufzulösen scheiterte an der Verfügbarkeit. Also keine Wahl, man muss so durch.

Überraschend dann aber: Der Flughafen sieht moderner und größer aus als man denkt! Eine Recherche ergibt, dass dieser Flughafen etwa halb so viele Passagiere pro Jahr umsetzt wie der Münchner Flughafen, und das ohne nennenswerten Zwischenfall oder gar Personenschaden seit 10 Jahren. Das Airporthotel ist modern, die Schalterabfertigung unkompliziert und fließend. Ich kann keinen Unterschied zu europäischen Flughäfen feststellen. Sogar einen Starbucks gibt es ;-). Als es dann am Morgen zum Gate geht, ist der Zubringerbus modern und elektrisch betrieben – der Flieger (eine Boeing 737-800) sieht recht neu aus. Beim Einstieg noch der Auditorenblick auf die Wartungsplakette der Zustiegstür. Letzte Wartung 11 / 2022, gültig bis 11 / 2025. Klingt doch gut? Die Piloten sehen zwar jung, aber weder übermüdet noch planlos aus. Der Flieger rollt los, bis zur Startbahn, beschleunigt, hebt ab… es ist alles wie immer. Eine Durchsage auf Indonesisch: Was hat er gesagt? Es tut mir leid, aber wir haben den Treibstoff vergessen und stürzen ab? Nein, die englische Übersetzung offenbart nur die üblichen Informationen, Flugzeit, Wetter et cetera. Auch der Rest des Fluges ist im Grunde genommen komplett ereignislos.

Ich tue mir schwer mit einer sinnvollen Zusammenfassung. Vielleicht hat man einfach eine zu koloniale Brille auf als Europäer? Vielleicht hat gerade der Skandal um den Lionair 610 mit Blacklisting der Airline und massiver Kritik an der indonesischen Luftfahrtbehörde für eine Verbesserung gesorgt? Oder vielleicht sollte ich mir einfach ein paar Tavor verschreiben lassen?

Jedenfalls sind wir jetzt auf Java 🙂 Update folgt!

Jan, Jahrgang 1986, peliepter Redner und Schöngeist

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