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6 Monate Reisen – ein Zwischenfazit?

In unserer Zeit in Canberra haben wir die 6-Monats-Marke überschritten! Die 2 1/2 Wochen House Sit haben wir beide glaube ich auch mal gebraucht, und haben sie zur Erholung und für unsere persönlichen Tasks eingesetzt. In meinem Fall hieß das – ich habe die Rohversion der Songs für mein Bandprojekt fertiggestellt, About a boy zu Ende gelesen und über den ein oder anderen Gedanken meditiert. Unter anderem über die Frage, was ich nun eigentlich mitnehme aus diesen 6 Monaten, von denen ich eigentlich dachte dass sie „irgendwann“ kommen würden. Also „irgendwann“ so wie in „niemals“, da allein der Gedanke daran schon so bedrohlich erschien, dass ich ihn sofort mit „das machen doch nur Hippe-Versager“ oder „denk an deine Sicherheit! (= der Gedanke ist gefährlich!)“ verdrängen musste. Vielleicht interessiert das irgendwen, sicher hätte es mich vor 6 Monaten interessiert, und ich glaube es ist für mich ein wertvolles Dokument meiner persönlichen Ent-wicklung.

Was waren meine Gedanken, Hoffnungen, Befürchtungen vor der Reise? Haben sich diese bewahrheitet?

  • Eine lange Reise ist eine kathartische Reinigung und macht dich zu einem anderen Menschen
    So stimmt das für mich nicht. Man nimmt seine Probleme überallhin mit und das ändert sich nicht. Aber: Das Gleichgewicht „Arbeit = 46 Wochen Unzufrieden vs Urlaub = 6 Wochen alles perfekt“ verschiebt sich. Es ist eine Art gleichförmige Grundzufriedenheit geworden.
  • Auf einer längeren Reise kommt man mehr mit Menschen in Kontakt und lernt viel direkter über die Kultur eines Landes als in einem Urlaub
    Das stimmt definitiv, zumindest ist es einfacher. Man hat viel über den Reisestil selbst in der Hand und einiges davon ginge theoretisch auch bei Kurzurlauben. Wäre aber wesentlich aufwändiger
  • Eine längere Reise gibt dir eine Außen-Perspektive auf dein bisheriges Leben, und eine Menge an möglichen Vergleichen
    Absolut richtig! Man sieht so viele Lebenskonzepte, sieht die Pros und Cons in anderen Ländern und hört z.B. gerade hier in Australien viele Auswanderer-Storys.
    Auch interessant die Einstellung der Menschen zum Leben als Kontrast zur deutschen Denkweise.
  • Du gibst dein Sicherheitsnetz auf, das du dir in Deutschland aufgebaut hast. Was, wenn etwas passiert?
    Ad 1) hat man ja, wenn man es richtig anstellt, einen „eingefrorenen“ Anspruch auf ALG1, eine Auslands-KV sowieso. Und das sogenannte Sicherheitsnetz empfinde ich mehr und mehr als große Liability, mir ist heute schleierhaft wieso ich jahrelang 2000 Euro pro Monat in Lebenshaltungskosten pumpe, um dann unglücklich in die Münchner Häuserschlucht zu starren oder am 35 € – Münchner Schnitzel zu kauen
  • Da gibt es doch viele Krankheiten, giftige Tiere und Kriminalität?
    Krank kann ich zuhause auch werden. Ich nehme hier wesentlich weniger Medikamente, denke seltener an Krankheiten als in Deutschland. Und ja, es gibt giftige Tiere – aber weniger giftige Menschen XD
  • Das ist doch was für 19-jährige, für KINDER!
    Ein sehr starker Elternmodus, auch in mir. Gegenfrage: Wenn o.g. Aussage eine Abwertung darstellt, was sagt das über dich aus? Direkter: Was passiert, wenn man ein Kind ist? Wird man dann fürs Kind sein bestraft, oder abgewertet?
    Was mich angeht, so entdecke ich das ein oder andere, und das tatsächlich auch auf eine kindliche Art. Was ist daran falsch? Ich habe nicht vor, damit aufzuhören.
  • Das ist doch viel zu teuer! Willst du denn deine ganze Altersvorsorge wegwerfen?
    Lustig: Wir geben hier auf Reisen deutlich (!) weniger aus als zuhause, wenn man nur Unterkunft und Essen rechnet. Tatsächlich gibt mir das einiges zu denken, wofür man da eigentlich 50% Steuern in ein System gepumpt hat, das manchmal aktiv gegen einen arbeitet…
  • Mit so etwas machst du dir deinen Lebenslauf kaputt. Da nimmt dich doch niemand mehr!
    Hab ich ein paar mal so oder so ähnlich gehört von Mitreisenden. Wo die alle herkamen? Aus Deutschland natürlich 😀
    Hier in OZ ist es z.B. völlig normal und auch legitim, unsere Gastgeber beim Housesit in Canberra sind z.B. 2 Jahre lang durch Australien gefahren während Corona. Und wenn ein Arbeitgeber wirklich ein Problem damit hat, dass ich mir einen Lebenstraum verwirkliche, dann ist mir auch sehr schnell klar wo die Wertschätzung liegt und ich verzichte dankend.

Insofern ist einiges wahr geworden, einiges hat sich so nicht bewahrheitet. Aber was habe ich nun durch diese Episode gelernt? Was habe ich gesehen, von dem ich vorher nicht wusste?

  • Den Klimawandel werden wir nicht stoppen
    In Berlin kleben sie sich auf die Straße, auf Sumatra wird ein Flughafen erweitert der bis 2030 das dreifache des Münchner Flughafens umsetzen soll. Und selbst wenn in Deutschland wir nur noch mit dem Fahrrad fahren, 500 Millionen Südostasiaten (China und Indien nicht mitgerechnet) fahren mit ihrem Dreckschleuder-Moped unbeirrt weiter.
    Das heißt nicht, dass es meiner Ansicht nach falsch ist die Umwelt zu schützen. Nur bin ich überzeugt: Aufhalten wird das so keiner.

  • Deutschland ist nicht so toll, wie es gerne wäre
    Dass die „fetten Jahre“ langsam vorbei sind, ist ja kein Geheimnis mehr. Was mich aber überrascht hat ist, wie viel in vermeintlich „Rückständigen“ Ländern wie Taiwan, Malaysia und Indonesien gut läuft. Vielleicht nicht besser, aber doch ist man dort nicht so weit weg von uns, als wir gerne hätten.
    Und hier in Australien muss ich ganz ehrlich sagen, ist man uns in vielerlei Hinsicht einiges voraus.

    Ich sag immer das Land der 3 N: Neider, Nörgler, Neunmalkluge. Aber was können wir sonst?
  • Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.
    So viele Storys haben wir erlebt und gesehen. Die Reise an sich ist eine Story, und wenn ich dadurch eines gelernt habe dann dass man manche Dinge einfach mal tun muss, sich trauen muss, und der Rest wird sich dann schon ergeben.
    „Overthinking, Overanalyzing separates the body from the mind“ um es mit den Worten Maynard James Keenans zu sagen.
    Der Wohnwagen wird 2 Tage vorher abgesagt? Kein Problem, wir organisieren um.
    Im Dschungel und wir saufen ab? Irgendwo werden wir schon schlafen.

    Im Vulkan und keine Ahnung wos langgeht? Wird schon.
    Ein seltsamer Typ mit Knarre triggert mich hart? Na dann, auf Wiedersehen!

  • Je ferner das Geld, desto netter die Leute
    Wir haben so viele nette Menschen kennen gelernt, egal wo wir hinkamen. Hilfsbereit, freundlich, aufgeschlossen. Gerade Taiwan, aber auch Indonesien ist uns hier extrem positiv aufgefallen, so viele nette Menschen haben wir hier getroffen.
    Unangenehm und unfreundlich wurde es tatsächlich nur ganz selten, und wenn dann immer da wo das Geld war: In Südostasien in den Touristenorten, hier in Australien in den größeren Städten.
  • Es gibt noch andere Reisestile – und die machen Spaß
    Housesits, Camperfahrten und Hilfsarbeiten haben wir vorher noch nie so genutzt. Wir sind größtenteils nur mit positiven Erfahrungen dort rausgegangen. Man trifft auf diese Art ganz andere Leute, abseits des „Verkäufer-Kunde“ Frames und so lernt man wirklich auch die Kultur eines Landes kennen. Wollen wir beide in Zukunft so weitermachen!
  • Ich brauche nicht mehr das Maximum
    Bei kurzen Urlaubsreisen dreht sich viel darum, möglichst viele Erlebnisse in eine kurze Zeitspanne zu bekommen. Natürlich schaut man da viel nach, was die allerbeste Wanderung, das allerbeste Lokal, der allerbeste Campsite ist und muss dann unbedingt genau da hin – sonst glaubt uns ja kein Mensch wie schöns hier war…
    Wir haben so oft irgendwelche Wendungen erlebt, die sich dann aber als Tore zu ganz neuen Erlebnissen entpuppt haben. Und die waren mindestens genauso gut!
    Gerade hier in Australien rennen in einem Nationalpark oftmals alle auf das „must-du-gesehen-haben-Beach“ im Nationalpark, und 5 Kilometer weiter ist ein genauso schönes Beach dass du dann für dich alleine hast. Ist doch genauso schön? Auf Bali tummeln sich die Instagrammer in Ubud und essen ihr Sushi mit Quinoa side salad, und auf der Nachbarinsel Java kann man abseits der ausgetrampelten Pfade viele nette Menschen und echte Indonesische Küche genießen. Mir reicht es, eine gute Zeit zu haben, sie muss nicht mehr perfekt sein.

Jan, Jahrgang 1986, peliepter Redner und Schöngeist

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